| „Wenn wir streiken, steht die Welt still“ – wie der spanische Frauenstreik zum Erfolg wurde
[Original in English here.]
Von Julian Coppens und Dick Nichols
Juni 2018 — Zeitschrift LuXemburg — Am diesjährigen Internationalen Frauenkampftag fanden in
beachtlichen 177 Ländern Demonstrationen statt. Dabei stach der
spanische Staat mit einen Generalstreik für die Gleichberechtigung von
Frauen besonders hervor. Mindestens fünf Millionen Menschen waren
beteiligt. Es war die größte Mobilisierung von Frauen in der Geschichte
Spaniens.
Es gibt viele Gründe für diesen Erfolg. Die #MeToo Kampagne von
Schauspielerinnen und prominenten Frauen gegen sexuelle Belästigung
durch Männer in Machtpositionen hat gerade in Spanien, wo der Machismo
allgegenwärtig ist, hohe Wellen geschlagen. Allerdings hätte dies
allein wohl kaum zu einer solchen Explosion des Protests von Frauen
aller Altersklassen geführt, wie sie sich am 8. März in 120 Städten und
Gemeinden auf der iberischen Halbinsel ereignete.
Das vielleicht wichtigste Element in diesem Erfolg ist die Tatsache,
dass in Spanien ein feministischer Generalstreik ausgerufen, tatsächlich
auch ernsthaft als solcher vorbereitet und schließlich durchgeführt
wurde. Es sollte eine 24-stündige „Niederlegung der Werkzeuge“ werden,
um auf die doppelte Belastung von Frauen durch Lohnarbeit (mit
ungleicher Behandlung bzw. Entlohnung von Frauen und Männern) sowie
durch häusliche Arbeit (ohne jegliche Entlohnung) aufmerksam zu machen.
Der Protest war zugleich als Konsumstreik und als Tag, an dem Frauen
alle Sorgearbeit ruhen lassen, geplant. Die Herangehensweise und die
Forderungen wurden im ‚8M-Manifest‘ festgehalten. Der übergreifende
Slogan wurde bewusst offensiv gewählt: „Wenn wir streiken, steht die
Welt still.“
Woher kam der „feministische Tsunami“?
Die vom Partido Popular (PP) unter Premierminister Mariano Rajoy
geführte konservative Regierung ging vermutlich davon aus, dass eine
solche Initiative rasch verpuffen würde: eine weitere randständige
Veranstaltung der oftmals antikapitalistischen Kollektive, die den
Frauentag über die Jahre am Leben gehalten hatten, ohne die Masse der
arbeitenden Frauen wirklich zu erreichen. Dies sollte sich diesmal als
Trugschluss erweisen.Die Wurzeln des 8. März 2018 reichen weit zurück. Mobilisierungen wie
diese entstehen nicht einfach aus vorausgegangenen Erfolgen und auch
nicht durch die bloße Anzahl an Aktivist*innen, die sie errungen haben.
Sie basieren auf den Netzwerken der Assoziationen und Kollektive, die
über die Jahre des feministischen Kampfes aufgebaut wurden – eine
aktivistische Infrastruktur, deren Ursprünge bis in die Zeit des
Untergrundkampfes gegen die Franco-Diktatur zurückreichen.In den 1960er und 1970er Jahren beteiligten sich feministische
Aktivist*innen am Kampf gegen die faschistische Diktatur. Unter der
Herrschaft General Francisco Francos waren Frauen Männern absolut
untergeordnet: Verheiratete Frauen durften nicht arbeiten, und alle
Frauen brauchten eine Erlaubnis ihres Vaters oder Ehemanns, um ein
Bankkonto zu eröffnen, einen Führerschein zu machen oder einen Vertrag
zu unterschreiben. Nach jahrelangem mühsamen Kampf gegen diese
Unterdrückung wurde schließlich im Übergang zur Demokratie nach der
Franco-Diktatur im Jahr 1978 der staatliche Verband feministischer
Organisationen (Federación Estatal de Organizaciones Feministas – FEOF) gegründet. Die FEOF, heute eher unter dem Namen Coordinadora Feminista
(Feministisches Koordinationskomitee) bekannt, vertritt Frauengruppen
aus dem gesamten spanischen Staat und ist ein demokratisch organisierter
Verband, in dem Erfahrungen ausgetauscht und gemeinsame Aktionen
geplant werden.Die feministische Bewegung war insbesondere in den 1980er Jahren
stark, nachdem der Übergang zur Demokratie die Wahl einer von der
spanischen Sozialdemokratie (PSOE) gestellten Regierung nach sich zog.
Die Bewegung erkämpfte für Frauen das Recht auf Scheidung und den Zugang
zu Verhütungsmitteln und Abtreibungsmöglichkeiten. Zudem führte sie
Kampagnen gegen häusliche Gewalt und für die Rechte von Lesben,
Schwulen, Bisexuellen und Transgender. Trotz der Institutionalisierung
und Integration von Teilen der Bewegung in die staatliche Bürokratie
unter der PSOE-Regierung über die 1980er und 1990er Jahre hinweg nahmen
im Jahr 2009 rund 3.000 Frauen an der Konferenz zum 13-jährigen Bestehen
des Verbandes in Granada teil.Die FEOF war auch eine der Initiatorinnen des diesjährigen
Generalstreiks. Im März 2017 rief sie die 8M-Kommission ins Leben, die
den Streik vorbereiten sollte. Zudem sollte auf einer Reihe von
Versammlungen auf nationaler Ebene ein gemeinsames Manifest erarbeitet
werden. Lokale Koordinationsgruppen wurden überall im spanischen Staat
aufgebaut, um ihre Anliegen zum Manifest beizusteuern und den Streik zu
planen. In der Regel entstanden diese Gruppen aus bereits existierenden
Netzwerken von Frauengruppen, manche parteinah, andere parteipolitisch
ungebunden. In den lokalen Organisationkomitees konnten ebenso wie in
den landesweiten Versammlungen Organisationen und Individuen offen
teilnehmen. Beschlüsse wurden per Mehrheitsentscheidung der
Teilnehmenden getroffen.Während dieser Ansatz gut aufgenommen wurde, variierte die Rolle des
PSOE von Ort zu Ort, abhängig von der konkreten Politik seiner
Vertreter*innen und Basisaktivist*innen. In der PSOE-regierten Stadt
Mérida in der Region Extremadura etwa ist die Stadträtin für
Frauenangelegenheiten eine feministische Aktivistin, die regelmäßig an
den Organisationsversammlungen des lokalen 8M-Vorbereitungskreises
teilnahm. Dort stellte der Stadtrat auch finanzielle Ressourcen bereit,
ohne damit eine politische Einflussnahme zu verbinden. Andernorts gab es
hingegen heftige Kritik an männlichen PSOE-Politikern, die versuchten,
sich mit Parteibannern an die Spitze der Demonstrationszüge zu stellen.
Gegen Austerität und Machismo
Ursprünglich wurde die Kampagne für einen 24-stündigen feministischen
Generalstreik vor allem von den kleineren und radikaleren
‚Minderheits‘-Gewerkschaftsverbänden getragen – darunter die
anarchosyndikalistische Confederación del Trabajo (CGT), die
Confederaciòn Nacional del Trabajo (CNT) und die Basiskomitees (Co.Bas).
Doch die Idee fand schnell Anklang in vielen Betrieben und
Arbeitsplätzen, wo Frauen die Mehrheit stellen.Im Gesundheits- und Bildungssektor sprachen sich auch die
Gewerkschaften mit dem höchsten Organisationsgrad recht prompt für die
Arbeitsniederlegung aus, beispielsweise die Mehrheitsgewerkschaft der
Lehrer*innen in Katalonien, USTEC-STEs. In diesen Bereichen sind es
gerade weibliche Beschäftigte, die die durch die Kürzungspolitik der
letzten Jahre entstandenen Versorgungslücken durch ihre meist unbezahlte
Mehrarbeit aufrechterhalten. Sie erkannten im Streik eine Gelegenheit,
ihrem Ärger Ausdruck zu verleihen.Sie wurden bald von Journalistinnen, Forscherinnen,
Wissenschaftlerinnen, Schriftstellerinnen, Studierenden und
Rechtsanwältinnen unterstützt – in all diesen Berufen und Bereichen
wurden Frauen während der Wirtschaftskrise schlechter gestellt,
schlechter bezahlt und/oder in informelle Beschäftigung gezwungen.
Weibliche Beschäftigte im Privatsektor – und hier vor allem in den
schlechtbezahltesten und informellen Bereichen – ergriffen ebenfalls
dankbar die Gelegenheit zum Protest. Ein herausragendes Beispiel waren
die Hotelreinigungskräfte, eine Branche, in der vor allem Migrantinnen
begonnen haben, sich in der Organisation Las Kellys selbst zu organisieren.Frauen, die in Rente gegangen sind – und im Schnitt nur 760 € im
Vergleich zu den 1.200 € für Männer erhalten – protestierten gemeinsam
mit Studentinnen, die wissen, dass ihnen nach dem Abschluss die
Arbeitslosigkeit droht. Diese Gruppen taten über Studierendenverbände
und Rentnerorganisationen ihre Unterstützung kund.Ein weiterer Grund für den Zuspruch zu den Protesten ist Spaniens
dunkle Geschichte von Morden an Frauen durch Partner oder Ex-Partner –
seit dem Beginn der Statistik im Jahr 2003 wurden 924 Einzeltaten
gezählt. Die Rathäuser und Plätze des Landes sind längst zum Schauplatz
regelmäßiger und öffentlicher Zeremonien gegen tödliche häuslicher
Gewalt geworden: Gleichzeitig haben Frauen angesichts der hohen Zahl an
Belästigungsvorfällen immer mehr Angst davor, nachts auf die Straße zu
gehen.All diese Faktoren kamen zusammen, um den „feministischen Tsunami“
des Frauentag 2018 zu erzeugen, den Spanien erlebte – eine
außergewöhnliche, nicht von etablierten Gewerkschaften oder Parteien,
sondern von der Frauenbewegung selbst organisierte Mobilisierung!
Auf dem Weg zum Generalstreik
Ende Februar war das Ausmaß an Unterstützung für den bisher vor allem
von den Minderheitsgewerkschaften vorangetrieben Streik derart
offensichtlich, dass die beiden größten Gewerkschaftsverbände Spaniens –
die Comisiones Obreras (CCOO) und die Unión General de Trabajadores (UGT) – keine Wahl hatten und reagieren mussten.Sie riefen schließlich für ihre eigene Version eines Streiks auf:
Einen je zweistündigen Ausstand am Vormittag und am Nachmittag. Aufgrund
des großen Gewichts der CCOO und UGT in der spanischen
Gewerkschaftslandschaft – und wegen der Unterstützung ihrer Position
durch die baskisch-nationalistischen Gewerkschaften – wurde dies
schließlich die Form, in der der feministische Streik unter der Mehrheit
weiblicher Beschäftigter bekannt gemacht wurde. Die Reduktion des
Generalstreiks von 24 auf zwei Mal zwei Stunden sorgte bei den
feministischen Organisationskollektiven für erhebliche Entrüstung.In diesen Konflikten traten sowohl die Ängste der CCOO und UGT zu
Tage, von den kleineren Rivalen überflügelt zu werden. Zugleich ging es
aber auch um eine ernsthafte Debatte über die erfolgversprechendste Form
der Mobilisierung von Frauen am 8. März. Trotz der Kontroversen war
relativ früh klar, dass die Streiks Erfolg haben würden. In der Woche
vor dem 8. März wurde dies überdeutlich, und die Debatte in den großen
Medien und in social media wie auch die Kneipen- und
Küchentischdiskussionen drehten sich nur noch um die Frage, wer sich am
Streik beteiligen würde oder sollte.Zunächst kam die Ankündigung von Barcelonas Bürgermeisterin Ada
Colau, dass sie und andere weibliche Stadträte der Stadtregierung von
„Barcelona en Comú“ am 8. März nicht arbeiten würden. Es folgte die
Unterstützungserklärung der madrilenischen Bürgermeisterin Manuela
Carmena und schließlich immer mehr Zuspruch von prominenten Personen aus
der Medienbranche.In der parteipolitischen Arena führte Podemos die Kampagne an,
während die liberalen Ciudadanos und des konservative Partido Popular
(PP) angaben, Aktionen für Frauenrechte zu unterstützen, nicht jedoch
einen „ideologisch basierten“, „antikapitalistischen“ feministischen
Streik.Am Ende wurde der Streik jedoch von nahezu jeder gesellschaftlich
relevanten Organisation unterstützt und überaus populär, mit
Zustimmungsraten von über 80 Prozent in Umfragen. Schließlich sah sich
selbst Ministerpräsident Rajoy gezwungen, am 8. März mit einer
lilafarbenen Schleife am Revers aufzutreten – dies löste Erstaunen und
Vergnügen, aber auch Empörung bei den Millionen von Frauen aus, die
unter der Sparpolitik seiner Regierung gelitten haben.
Das Ausmaß des Streiks
Spaniens feministischer Generalstreik wurde zu einem überwältigenden
Erfolg. Die Menschen beteiligten sich letztlich auf jede nur erdenkliche
Weise, je nachdem womit sie sich wohlfühlten. Den Zahlen von CCOO und
UGT zufolge legten an diesem Tag rund 5,9 Millionen Arbeiter*innen, die
allermeisten von ihnen Frauen, die Arbeit nieder: Ein Drittel der
spanischen Arbeiterklasse trat in den Streik, betroffen waren insgesamt
80 Prozent der Betriebe und Arbeitsstätten. Bis zuletzt blieb
umstritten, was die Aufgabe von feministischen Männern an diesem Tag
sei: mitstreiken oder den Haushalt oder die Notversorgung (etwa im
Krankenhaus) übernehmen.In folgenden Bereichen war die Auswirkung des Generalstreiks besonders zu spüren:
- Bildung. In Katalonien war die Beteiligung an den
zweistündigen Ausständen (von 11:30-13:30 Uhr und von 16:00 -18:00 Uhr)
in Sekundarschulen und Universitäten „nahezu komplett“ (CCOO-Zahlen),
wobei 20 % der Lehrer von Sekundarschulen die vollen 24 Stunden
streikten (USTEC-STEs-Zahlen). In der Region Valencia sprachen sämtliche
Bildungsgewerkschaften von einer Beteiligung von 50 Prozent. In
Andalusien traten 90 % der Universitätsstudierenden in den Streik. Die
Unterstützung unter madrilenischen Schülerinnen lag bei 90 Prozent,
unter Studentinnen bei 65 % (CCOO-Zahlen).
- Gesundheit. Dem Gesundheitsverband der CCOO zufolge
erreichte die Beteiligung am zweistündigen Streik in Katalonien und der
Region Valencia 80 %, während er in Andalusien bei 55-70 % lag.
- Transport. Langstrecken- und Regionalzüge waren
landesweit mittelmäßig betroffen (25 % Ausfälle zur Hauptstoßzeit, 50 %
am Rest des Tages), am stärksten waren dies die Metro-, Tram-, und
Busdienste, wo es am meisten weibliche Fahrerinnen gibt. In Barcelona,
wo die CGT stark vertreten ist, waren diese Dienste während der
Hauptstoßzeiten um 50 % und zu 75 % am Rest des Tages reduziert.
- Medien. In diesem Sektor war der Streik besonders
sichtbar. Weibliche Radio- und Fernsehansagerinnen waren bei vielen
Sendern abwesend und das Programm wurde angepasst. Journalistinnen waren
zudem in der Vorbereitung des Streiks involviert, und ihr
Unterstützungsmanifest erhielt über 7000 Unterschriften von Kolleginnen.
Die Teilnahme am Streik war in anderen Branchen wie der
Schwerindustrie und dem Handel insgesamt gering, wobei es auch hier
wichtige Ausnahmen in von Frauen dominierten Bereichen gab. Den CCOO in
Katalonien zufolge legten beispielsweise weibliche Reinigungskräfte am
Flughafen von Barcelona sowie in den SEAT und Nissan Automobilwerken
ihre Arbeit nieder. Laut der CGT führten ihre mobilen Infoposten zur
vorsorglichen Schließung von Einkaufszentren, während Frauen in
Callcentern auf die Kündigungsdrohungen seitens ihres Managements mit
Bummelstreiks reagierten.Darüber hinaus wurde der Streik von anderen in Spanien typischen
Protestformen wie Straßenblockaden und Besetzungen von Straßen und
Plätzen begleitet. In Katalonien wurden wichtige Autobahnen blockiert,
in Madrid brachten Demonstrationen und Sitzstreiks seit den frühen
Morgenstunden den Verkehr im Zentrum zum Erliegen.Viele an dem Tag interviewte Frauen gaben an, die Ziele des Streiks
in voller Gänze zu unterstützen, aus Angst vor einer Kündigung jedoch
nicht teilnehmen zu können. Dies spiegelte eine passive Unterstützung
wider, die so weitverbreitet war, dass selbst die ansonsten reißerischen
Radioshows zum Schweigen gebracht wurden. Sie konnten der ausufernden
Beteiligung an einem Ereignis, das zunächst als angebliche „subversive
Verschwörung“ begonnen hatte, nichts mehr entgegensetzen.Obwohl sich langjährige Feministinnen in den Führungsriegen der
großen Mehrheitsgewerkschaften befanden, wurde die Entscheidung gegen
eine Unterstützung für einen 24-stündigen Streik getroffen. Sie beruhte
auf der Einschätzung, dass diese Streikform keinen Erfolg haben würde.
Die immense Beteiligung am Streik hat dagegen sehr deutlich gemacht,
dass eine sehr große Zahl an Frauen bereit gewesen ist, in Aktion zu
treten. Der Aufruf zu einem lediglich zweistündigen Streik wurde von
vielen im Nachhinein als Fehler gewertet. Die vielen Neueintritte in die
Minderheits-Gewerkschaften kann durchaus als Ausdruck einer
Radikalisierung in Folge der Streikaktion gewertet werden.
Massendemonstrationen und radikale Forderungen
Der Generalstreik wurde von Demonstrationen begleitet, die deutlich
größer als alle bisherigen Proteste am 8. März waren. Selbst die oft
sehr konservativen offiziellen Angaben unterstreichen dies. In Barcelona
marschierten 200.000 Menschen (laut Organisatorinnen 600.000), während
es in Madrid 170.000 (bzw. für die Organisatorinnen 500.000)
Teilnehmer*innen waren. Im Vergleich: Die größte
Frauentags-Demonstration der jüngeren Vergangenheit war der Marsch in
Madrid im Jahr 2017, als laut Behörden 40.000 Menschen teilnahmen: beim
2015er Marsch in Barcelona kamen dagegen lediglich 4.000 Menschen.In anderen Städten war die Situation ähnlich, es fanden riesige
Demonstrationen statt, hier einige Beispiele (laut offiziellen Zahlen):
Sevilla: 120.000; Valencia: 100.000, Bilbao: 60.000; Saragossa: 37.000.An Orten ohne eine Geschichte von Massenkundgebungen wurde der
außergewöhnliche Charakter des 8. März besonders deutlich. In der
galizischen Hauptstadt Pontferrada demonstrierten beispielsweise 13.000
Menschen. In Santander nahmen 22.000 an einem Marsch teil, von dem auch
die örtliche Polizei sagte, dass es zuvor noch nie eine so riesige
Protestaktion gegeben habe. Derartiges wiederholte sich in jeder der 50
Provinzhauptstädte Spaniens, was zeigt, dass der Protest am 8. März sich
in der gleichen Größenordnung wie die Indignado-Revolte mit
ihren Platzbesetzungen 2011 bewegt. Allein in Andalusien war die
Beteiligung in den sieben Provinzhauptstädten (außer Sevilla) enorm:
Málaga: 70.000; Granada: 50.000; Córdoba: 15.000; Almería: 10.000;
Huelva: 10.000; Jaén: 5.000 und Cadíz: 5.000.Auf der Kommentarseite Magnet versuchte Autorin Esther
Miguel Trula am 9. März die wahrscheinliche Gesamtteilnehmerzahl zu
berechnen, ausgehend von den Teilnehmerzahlen in den 14 größten Städten.
Sie korrigierte die offiziellen Zahlen nach oben und die Angaben der
Organisatorinnen nach unten. Sie gelangte zu einer konservativen
Schätzung von fünf Millionen, was mehr als 10 % der Bevölkerung des
spanischen Staates entspricht.Die Forderungen der Demonstrant*innen waren radikal und spiegeln
nicht nur die politischen Positionen vieler in den Organisationskomitees
wider. Sie zeigen auch die wütende Stimmung unter den vielen jungen
Frauen, die der Unsicherheit einer wirtschaftlichen Zukunft auf einem
prekären Arbeitsmarkt und der sicheren Zukunft eines fortdauernden Machismo
entgegensehen. Slogans auf den Leittransparenten waren zum Beispiel:
„Ohne Feminismus keine Revolution!“ (Valencia), „In Vielfalt vereint –
Gegen Patriarchat und Kapital!“ (Palma), „Wir streiken um die Welt zu
verändern!“ (Madrid) und „Patriarchat und Kapital – Kriminelles
Bündnis!“ (Girona). Ein weiteres beliebtes Plakat auf den
Demonstrationen war „Wir sind die Enkeltöchter der Hexen, die ihr nicht
verbrennen konntet!“In Katalonien sorgte die Beteiligung der Komitees zur Verteidigung
der Republik (CDR) dafür, dass am 8. März auch Slogans wie „die
[unabhängige katalonische] Republik wird feministisch sein oder sie wird
nicht sein!“ auf den Demonstrationen in Barcelona, Girona, Tarragona
und Lleida skandiert wurden. Leire, ein Mitglied des feministischen
Kollektivs in Biskaya, das den gewaltigen Marsch durch das Zentrum von
Bilbao organisiert hatte, erklärte der Zeitung El Diario ihre
Einschätzung der Vorgänge: „Alles hier ist zum Erliegen gekommen, weil
die Menschen herausgekommen sind um laut herauszuschreien, dass sie
dieses System, das uns zermalmt und umbringt, nicht mehr wollen.“
Einschätzungen der Akteure
Wie schätzen die verschiedenen Protagonist*innen des 8. März den
Erfolg ein? Patricia Araguren, Mitglied des Organisationskomitees in
Madrid wurde in der Ausgabe der Onlinezeitung El Confidencial vom 10. März zu den Folgen des unterschiedlichen Ausmaßes an gewerkschaftlicher Unterstützung befragt:„Wir haben es dank der juristischen Unterstützung seitens der
Gewerkschaften CGT, CNT und Co.Bas geschafft, den 24-stündigen
Generalstreik umzusetzen.[1] UGT und CCOO haben zu zweistündigen
Arbeitsniederlegungen pro Schicht aufgerufen, was zwar nicht unserem
Aufruf entsprach, aber im Gegensatz zum letzten Jahr, als sie überhaupt
nicht mit aufriefen, positiv zu bewerten ist.“Elena Basco, die Beauftragte für Frauen und Gleichstellung in den
CCOO, verteidigte die Arbeit ihrer Gewerkschaft und bestand darauf, dass
die 3.000 Betriebsversammlungen, die sie organisiert hatten und die
zahlreichen Statements von Betriebskomitees einen erheblichen Beitrag
zum Bewusstseinswandel geleistet hätten. Zugleich hielt sie die
Möglichkeit offen, dass die CCOO am Frauentag 2019 einen 24-stündigen
Streik unterstützen würde.Die UGT ihrerseits zeigte ihre Nervosität durch ein Tweet zur
Mittagszeit, in dem behauptet wurde, dass ausschließlich die
zweistündigen Streiks effektive Auswirkungen gehabt hätten. Das Tweet
wurde kurz darauf wieder gelöscht. UGT-Generalsekretär Pepe Álvarez
schrieb auf seinem Blog, dass der Streik „ein deutliches Zeichen an die
[Rajoy-]Regierung und all die politischen Parteien gesendet [hat], dass
wir kämpfen werden, um die Gehalts- und Rentenlücke, die Belästigungen
und Misshandlungen endgültig aus unserem Leben zu tilgen.“Die CNT im Baskenland kommentierte: „Wir bewerten den Aufruf zum
ersten 24-stündigen feministischen Generalstreik als Erfolg, trotz der
Desinformation seitens einiger regierungsnaher Medien, des Boykotts
durch die CCOO, UGT, ELA und LAB [baskisch-nationalistische
Gewerkschaften] sowie den Hindernissen, die uns die [baskische]
Regierung bei der Aufrechterhaltung der Minimalversorgung in den Weg
gelegt hat.“Die CGT wurde noch etwas deutlicher und verurteilte „die beschämende
und erbärmliche Haltung der Gewerkschaften des Regimes (UGT und CCOO),
die auf den Boykott der für den Kampftag 8. März geplanten Aktionen
abzielte und – wieder einmal – jenen als Unterstützung diente, die für
viele der Ungleichheiten in unserer Gesellschaft verantwortlich sind.“Die soziale Bewegungsforscherin Nuria Alabao, die in dem El Confidencial
Artikel zitiert wird, betont, dass die spanische Frauenbewegung seit
den 1970er Jahren darauf hinweist, dass die sogenannten Generalstreiks
gar nicht so umfassend sind, wie sie behaupten: sie berücksichtigen die
unbezahlte, normalerweise häusliche Arbeit von Frauen nicht. Diese
Analyse erhielt damals freilich keinen Applaus von Gewerkschaften.
Inzwischen ist durch die brutale Prekarisierung der Arbeiterschaft im
Zuge der Wirtschaftskrise deutlich geworden, dass wirklich alle Bereiche
mit einbezogen werden müssen, wenn das System die Auswirkungen effektiv
spüren soll.Laut Rafa Mayoral, dem Podemos-Verantwortlichen für den Kontakt zu
sozialen Bewegungen, war der Streik auch ein Protest gegen das Regime
permanenter Unsicherheit. Diese existenzielle Unsicherheit vieler
Menschen ist ein Ergebnis von Arbeitsmarktreformen, unter denen
insbesondere Frauen zu leiden haben. Der Vorschlag eines feministischen
Generalstreiks traf darum einen Nerv. Zugleich mobilisierte er auch
viele Männer, da vielen deutlich wurde, dass „alle Bereiche des Lebens
miteinander zusammenhängen“.
Fazit
Der beste Maßstab für den Erfolg einer Mobilisierung ist die Reaktion
ihrer Gegner und falschen Freunde. Danach zu urteilen war der 8. März
ein überwältigender Triumph. Wie es eine Schlagzeile auf den Punkt
brachte, sind viele Politiker „typisch männlich zu Bett gegangen und als
Feministen aufgewacht“.Die Argumentationslinie des PP und der Ciudadanos musste sich abrupt
ändern, was sich in Rajoys wundersamer Verwandlung zum sensiblen Träger
einer lila Schleife ausdrückte. Nur sechs Wochen zuvor hatte er auf die
Frage nach dem gender pay gap geantwortet: „Da mischen wir uns
nicht ein.“ Von dieser Gleichgültigkeit und dem herablassenden Gerede
über die Proteste als „schick“ und „hip“ wandelte sich die PP-Linie
rasch. Es musste eingeräumt werden, dass „es sich um etwas sehr
Positives handelt und ich hoffe, dass dabei etwas Brauchbares
herauskommt“ (PP-Vorsitzende in Madrid Cristina Fuentes). Plötzlich war
die Rede davon, dass der „Feminismus Teil der grundlegenden Werte
unserer Demokratie“ ist (Andrea Levy, PP-Vizesekretärin für Forschung
und Parteiprogramm).Die offizielle Stellungnahme der Opposition erfolgte in den Worten
des nationalen PSOE-Generalsekretärs Pedro Sànchez: „Wir befinden uns an
einem historischen Moment der spanischen Geschichte, einem, der durch
die Frauen in unserem Land bestimmt wird. Von heute an wird im Kampf um
Gleichberechtigung nichts mehr so sein wie es war.“ Am 9. März rief die
Schattenministerin für Gleichstellung, Carmen Calvo, die Rajoy-Regierung
dazu auf, unverzüglich in Verhandlungen über die Annahme verschiedener
von PSOE und Unidos Podemos eingebrachter Gesetzesvorschläge zu
Geschlechtergleichheit und zur Schließung der Lohnlücke einzutreten.Der Versuch der PSOE mit Unidos Podemos als Juniorpartner in dieser
Auseinandersetzung zu agieren, ist ein Zeichen dafür, dass die spanische
Sozialdemokratie ihrer Rivalin um die linke Hegemonie eine weitaus
größere Glaubwürdigkeit in der feministischen Bewegung einräumen muss.
Daher musste ein voreiliger Versuch des PSOE, sich im Parlament als
ausschließliche Stimme der feministischen Bewegung zu gerieren,
scheitern. Die gegenwärtige Taktik des PSOE ist es nun, die Bewegung als
überparteilich darzustellen. Die Sprecherin der Partei im Kongress,
Margarita Robles, drückte es am 9. März wie folgt aus: „Die Forderungen
der Frauen vom gestrigen Tag waren lagerübergreifende Forderungen und
keine Partei hat das Recht, aus dieser spontanen Frauenbewegung Profit
zu schlagen.“Für Unidos Podemos bedeutet der 8. März einen enormen Schub. Sie
engagierten sich in der Mobilisierung und ihre weiblichen Abgeordneten
nutzen die Möglichkeit, für die Forderungen des Protests einzutreten und
sie zu verteidigen. Wie die Kongresssprecherin von Unidos Podemos,
Irene Montoro in einem TV-Interview am 9. März erklärte:„Die liberalen Ciudadanos sprachen von der ganzen Aktion als einem
kommunistischen Streik. Dem PP zufolge hatte Pablo Iglesias zu den
Protesten aufgerufen. Wochenlang unternahmen sie alles Mögliche, um die
feministische Bewegung und den Streikaufruf zu diskreditieren [während]
der PSOE den ausgerufenen 24-stündigen Streik ignorierte … Der
24-stündige Streik war notwendig, um in die ganze Welt hinauszurufen,
dass wir Frauen selbstbewusst voranschreiten und dass wir gekommen sind
um unsere Rechte einzufordern – und dass es von nun an in Spanien
unmöglich sein wird, nicht von Feminismus zu sprechen …
Feminismus ist das Banner Spaniens im 21. Jahrhundert und es gibt jede
Menge wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Strukturen, die verändert
werden müssen.“Welch ein Unterschied zum 15. Mai, dem Beginn der Indignado-Bewegung,
als einige Frauen an Madrids besetzter Puerta del Sol ein Banner
aufhängten, auf dem stand: „Die Revolution wird feministisch sein oder
sie wird nicht sein.“ Damals waren sie ausgebuht und ihre Banner
heruntergerissen worden.In einem Kommentar vom 13. März ließ die kastilische Linke [2] verlauten:„Nicht einmal sieben Jahre sind vergangen seit diesen beschämenden
Vorfällen. Unser Erfolg belegt das unaufhaltsame Voranschreiten im Kampf
um unsere Rechte und Freiheiten als Frauen und er zeigt, wie schnell
die sozialen Bewegungen und die Gesellschaft als Ganzes die Bedeutung
des Feminismus aufgreifen mussten.“Die zusammenfassende Interpretation dieses unglaublichen Tages durch
die 8M-Kommission fiel etwas kürzer aus: Was am 8. März geschehen war,
signalisiere das „Ende der Geduld“. Die Kommission beschloss im
Nachhinein, die feministische Organisationsstruktur durch regelmäßige
Treffen am Leben zu erhalten und zugleich ihr Gewicht in andere
Mobilisierungen zu werfen, die ebenfalls von der Inspiration durch den
8. März profitierten – einschließlich einer aktuell laufenden
Mobilisierung des Nationalen Koordinationskomitees zur Verteidigung der
Rente.Dessen letzter Aktionstag für gerechte Renten am 17. März
mobilisierte trotz sintflutartigen Regens landesweit Hunderttausende.
Dies deutet darauf hin, dass der Frauentag 2018 keine Eintagsfliege war,
sondern vielmehr der Auftakt zu einer neuen Welle des Widerstands gegen
die zahlreichen Ungerechtigkeiten im spanischen Staat.Die übersetzte Langfassung erschien bei „Links – international journal of socialist renewal [1]“. Eine kürzere Version dieses Artikels ist in der australischen Zeitschrift „Green Left Weekly[2]“ erschienen.
Anmerkungen
1] Das Recht, legal zu streiken, vorausgesetzt es wird ein genauer
Ablauf eingehalten, ist durch Artikel 28.2 der spanischen Verfassung
verbrieft. Gewerkschaften mit anerkannter Betriebsvertretung ist es
daher erlaubt, einen rechtmäßigen Streik auszurufen, sofern sie
nachweisen können, dass besagte Abfolge eingehalten wurde.[2] Die kastilische Linke (Izquierda Castellana) ist eine
linksnationalistische Partei, die die Dominanz Spaniens durch das
kastilische Establishment ablehnt und solidarisch ist mit dem Kampf um
Selbstbestimmung unterdrückter Nationen innerhalb des spanischen
Staates, wie z.B. des Baskenlands, Kataloniens oder Galiziens.