| „Wenn wir streiken, steht die Welt still“ – wie der spanische Frauenstreik zum Erfolg wurde
[Original in English here.]
Von Julian Coppens und Dick Nichols
Juni 2018 — Zeitschrift LuXemburg — Am diesjährigen Internationalen Frauenkampftag fanden in
beachtlichen 177 Ländern Demonstrationen statt. Dabei stach der
spanische Staat mit einen Generalstreik für die Gleichberechtigung von
Frauen besonders hervor. Mindestens fünf Millionen Menschen waren
beteiligt. Es war die größte Mobilisierung von Frauen in der Geschichte
Spaniens.
Es gibt viele Gründe für diesen Erfolg. Die #MeToo Kampagne von
Schauspielerinnen und prominenten Frauen gegen sexuelle Belästigung
durch Männer in Machtpositionen hat gerade in Spanien, wo der Machismo
allgegenwärtig ist, hohe Wellen geschlagen. Allerdings hätte dies
allein wohl kaum zu einer solchen Explosion des Protests von Frauen
aller Altersklassen geführt, wie sie sich am 8. März in 120 Städten und
Gemeinden auf der iberischen Halbinsel ereignete.
Das vielleicht wichtigste Element in diesem Erfolg ist die Tatsache,
dass in Spanien ein feministischer Generalstreik ausgerufen, tatsächlich
auch ernsthaft als solcher vorbereitet und schließlich durchgeführt
wurde. Es sollte eine 24-stündige „Niederlegung der Werkzeuge“ werden,
um auf die doppelte Belastung von Frauen durch Lohnarbeit (mit
ungleicher Behandlung bzw. Entlohnung von Frauen und Männern) sowie
durch häusliche Arbeit (ohne jegliche Entlohnung) aufmerksam zu machen.
Der Protest war zugleich als Konsumstreik und als Tag, an dem Frauen
alle Sorgearbeit ruhen lassen, geplant. Die Herangehensweise und die
Forderungen wurden im ‚8M-Manifest‘ festgehalten. Der übergreifende
Slogan wurde bewusst offensiv gewählt: „Wenn wir streiken, steht die
Welt still.“
Woher kam der „feministische Tsunami“?
Die vom Partido Popular (PP) unter Premierminister Mariano Rajoy geführte konservative Regierung ging vermutlich davon aus, dass eine solche Initiative rasch verpuffen würde: eine weitere randständige Veranstaltung der oftmals antikapitalistischen Kollektive, die den Frauentag über die Jahre am Leben gehalten hatten, ohne die Masse der arbeitenden Frauen wirklich zu erreichen. Dies sollte sich diesmal als Trugschluss erweisen.Die Wurzeln des 8. März 2018 reichen weit zurück. Mobilisierungen wie diese entstehen nicht einfach aus vorausgegangenen Erfolgen und auch nicht durch die bloße Anzahl an Aktivist*innen, die sie errungen haben. Sie basieren auf den Netzwerken der Assoziationen und Kollektive, die über die Jahre des feministischen Kampfes aufgebaut wurden – eine aktivistische Infrastruktur, deren Ursprünge bis in die Zeit des Untergrundkampfes gegen die Franco-Diktatur zurückreichen.In den 1960er und 1970er Jahren beteiligten sich feministische Aktivist*innen am Kampf gegen die faschistische Diktatur. Unter der Herrschaft General Francisco Francos waren Frauen Männern absolut untergeordnet: Verheiratete Frauen durften nicht arbeiten, und alle Frauen brauchten eine Erlaubnis ihres Vaters oder Ehemanns, um ein Bankkonto zu eröffnen, einen Führerschein zu machen oder einen Vertrag zu unterschreiben. Nach jahrelangem mühsamen Kampf gegen diese Unterdrückung wurde schließlich im Übergang zur Demokratie nach der Franco-Diktatur im Jahr 1978 der staatliche Verband feministischer Organisationen (Federación Estatal de Organizaciones Feministas – FEOF) gegründet. Die FEOF, heute eher unter dem Namen Coordinadora Feminista (Feministisches Koordinationskomitee) bekannt, vertritt Frauengruppen aus dem gesamten spanischen Staat und ist ein demokratisch organisierter Verband, in dem Erfahrungen ausgetauscht und gemeinsame Aktionen geplant werden.Die feministische Bewegung war insbesondere in den 1980er Jahren stark, nachdem der Übergang zur Demokratie die Wahl einer von der spanischen Sozialdemokratie (PSOE) gestellten Regierung nach sich zog. Die Bewegung erkämpfte für Frauen das Recht auf Scheidung und den Zugang zu Verhütungsmitteln und Abtreibungsmöglichkeiten. Zudem führte sie Kampagnen gegen häusliche Gewalt und für die Rechte von Lesben, Schwulen, Bisexuellen und Transgender. Trotz der Institutionalisierung und Integration von Teilen der Bewegung in die staatliche Bürokratie unter der PSOE-Regierung über die 1980er und 1990er Jahre hinweg nahmen im Jahr 2009 rund 3.000 Frauen an der Konferenz zum 13-jährigen Bestehen des Verbandes in Granada teil.Die FEOF war auch eine der Initiatorinnen des diesjährigen Generalstreiks. Im März 2017 rief sie die 8M-Kommission ins Leben, die den Streik vorbereiten sollte. Zudem sollte auf einer Reihe von Versammlungen auf nationaler Ebene ein gemeinsames Manifest erarbeitet werden. Lokale Koordinationsgruppen wurden überall im spanischen Staat aufgebaut, um ihre Anliegen zum Manifest beizusteuern und den Streik zu planen. In der Regel entstanden diese Gruppen aus bereits existierenden Netzwerken von Frauengruppen, manche parteinah, andere parteipolitisch ungebunden. In den lokalen Organisationkomitees konnten ebenso wie in den landesweiten Versammlungen Organisationen und Individuen offen teilnehmen. Beschlüsse wurden per Mehrheitsentscheidung der Teilnehmenden getroffen.Während dieser Ansatz gut aufgenommen wurde, variierte die Rolle des PSOE von Ort zu Ort, abhängig von der konkreten Politik seiner Vertreter*innen und Basisaktivist*innen. In der PSOE-regierten Stadt Mérida in der Region Extremadura etwa ist die Stadträtin für Frauenangelegenheiten eine feministische Aktivistin, die regelmäßig an den Organisationsversammlungen des lokalen 8M-Vorbereitungskreises teilnahm. Dort stellte der Stadtrat auch finanzielle Ressourcen bereit, ohne damit eine politische Einflussnahme zu verbinden. Andernorts gab es hingegen heftige Kritik an männlichen PSOE-Politikern, die versuchten, sich mit Parteibannern an die Spitze der Demonstrationszüge zu stellen.Gegen Austerität und Machismo
Ursprünglich wurde die Kampagne für einen 24-stündigen feministischen Generalstreik vor allem von den kleineren und radikaleren ‚Minderheits‘-Gewerkschaftsverbänden getragen – darunter die anarchosyndikalistische Confederación del Trabajo (CGT), die Confederaciòn Nacional del Trabajo (CNT) und die Basiskomitees (Co.Bas). Doch die Idee fand schnell Anklang in vielen Betrieben und Arbeitsplätzen, wo Frauen die Mehrheit stellen.Im Gesundheits- und Bildungssektor sprachen sich auch die Gewerkschaften mit dem höchsten Organisationsgrad recht prompt für die Arbeitsniederlegung aus, beispielsweise die Mehrheitsgewerkschaft der Lehrer*innen in Katalonien, USTEC-STEs. In diesen Bereichen sind es gerade weibliche Beschäftigte, die die durch die Kürzungspolitik der letzten Jahre entstandenen Versorgungslücken durch ihre meist unbezahlte Mehrarbeit aufrechterhalten. Sie erkannten im Streik eine Gelegenheit, ihrem Ärger Ausdruck zu verleihen.Sie wurden bald von Journalistinnen, Forscherinnen, Wissenschaftlerinnen, Schriftstellerinnen, Studierenden und Rechtsanwältinnen unterstützt – in all diesen Berufen und Bereichen wurden Frauen während der Wirtschaftskrise schlechter gestellt, schlechter bezahlt und/oder in informelle Beschäftigung gezwungen. Weibliche Beschäftigte im Privatsektor – und hier vor allem in den schlechtbezahltesten und informellen Bereichen – ergriffen ebenfalls dankbar die Gelegenheit zum Protest. Ein herausragendes Beispiel waren die Hotelreinigungskräfte, eine Branche, in der vor allem Migrantinnen begonnen haben, sich in der Organisation Las Kellys selbst zu organisieren.Frauen, die in Rente gegangen sind – und im Schnitt nur 760 € im Vergleich zu den 1.200 € für Männer erhalten – protestierten gemeinsam mit Studentinnen, die wissen, dass ihnen nach dem Abschluss die Arbeitslosigkeit droht. Diese Gruppen taten über Studierendenverbände und Rentnerorganisationen ihre Unterstützung kund.Ein weiterer Grund für den Zuspruch zu den Protesten ist Spaniens dunkle Geschichte von Morden an Frauen durch Partner oder Ex-Partner – seit dem Beginn der Statistik im Jahr 2003 wurden 924 Einzeltaten gezählt. Die Rathäuser und Plätze des Landes sind längst zum Schauplatz regelmäßiger und öffentlicher Zeremonien gegen tödliche häuslicher Gewalt geworden: Gleichzeitig haben Frauen angesichts der hohen Zahl an Belästigungsvorfällen immer mehr Angst davor, nachts auf die Straße zu gehen.All diese Faktoren kamen zusammen, um den „feministischen Tsunami“ des Frauentag 2018 zu erzeugen, den Spanien erlebte – eine außergewöhnliche, nicht von etablierten Gewerkschaften oder Parteien, sondern von der Frauenbewegung selbst organisierte Mobilisierung!Auf dem Weg zum Generalstreik
Ende Februar war das Ausmaß an Unterstützung für den bisher vor allem von den Minderheitsgewerkschaften vorangetrieben Streik derart offensichtlich, dass die beiden größten Gewerkschaftsverbände Spaniens – die Comisiones Obreras (CCOO) und die Unión General de Trabajadores (UGT) – keine Wahl hatten und reagieren mussten.Sie riefen schließlich für ihre eigene Version eines Streiks auf: Einen je zweistündigen Ausstand am Vormittag und am Nachmittag. Aufgrund des großen Gewichts der CCOO und UGT in der spanischen Gewerkschaftslandschaft – und wegen der Unterstützung ihrer Position durch die baskisch-nationalistischen Gewerkschaften – wurde dies schließlich die Form, in der der feministische Streik unter der Mehrheit weiblicher Beschäftigter bekannt gemacht wurde. Die Reduktion des Generalstreiks von 24 auf zwei Mal zwei Stunden sorgte bei den feministischen Organisationskollektiven für erhebliche Entrüstung.In diesen Konflikten traten sowohl die Ängste der CCOO und UGT zu Tage, von den kleineren Rivalen überflügelt zu werden. Zugleich ging es aber auch um eine ernsthafte Debatte über die erfolgversprechendste Form der Mobilisierung von Frauen am 8. März. Trotz der Kontroversen war relativ früh klar, dass die Streiks Erfolg haben würden. In der Woche vor dem 8. März wurde dies überdeutlich, und die Debatte in den großen Medien und in social media wie auch die Kneipen- und Küchentischdiskussionen drehten sich nur noch um die Frage, wer sich am Streik beteiligen würde oder sollte.Zunächst kam die Ankündigung von Barcelonas Bürgermeisterin Ada Colau, dass sie und andere weibliche Stadträte der Stadtregierung von „Barcelona en Comú“ am 8. März nicht arbeiten würden. Es folgte die Unterstützungserklärung der madrilenischen Bürgermeisterin Manuela Carmena und schließlich immer mehr Zuspruch von prominenten Personen aus der Medienbranche.In der parteipolitischen Arena führte Podemos die Kampagne an, während die liberalen Ciudadanos und des konservative Partido Popular (PP) angaben, Aktionen für Frauenrechte zu unterstützen, nicht jedoch einen „ideologisch basierten“, „antikapitalistischen“ feministischen Streik.Am Ende wurde der Streik jedoch von nahezu jeder gesellschaftlich relevanten Organisation unterstützt und überaus populär, mit Zustimmungsraten von über 80 Prozent in Umfragen. Schließlich sah sich selbst Ministerpräsident Rajoy gezwungen, am 8. März mit einer lilafarbenen Schleife am Revers aufzutreten – dies löste Erstaunen und Vergnügen, aber auch Empörung bei den Millionen von Frauen aus, die unter der Sparpolitik seiner Regierung gelitten haben.Das Ausmaß des Streiks
Spaniens feministischer Generalstreik wurde zu einem überwältigenden Erfolg. Die Menschen beteiligten sich letztlich auf jede nur erdenkliche Weise, je nachdem womit sie sich wohlfühlten. Den Zahlen von CCOO und UGT zufolge legten an diesem Tag rund 5,9 Millionen Arbeiter*innen, die allermeisten von ihnen Frauen, die Arbeit nieder: Ein Drittel der spanischen Arbeiterklasse trat in den Streik, betroffen waren insgesamt 80 Prozent der Betriebe und Arbeitsstätten. Bis zuletzt blieb umstritten, was die Aufgabe von feministischen Männern an diesem Tag sei: mitstreiken oder den Haushalt oder die Notversorgung (etwa im Krankenhaus) übernehmen.In folgenden Bereichen war die Auswirkung des Generalstreiks besonders zu spüren:- Bildung. In Katalonien war die Beteiligung an den zweistündigen Ausständen (von 11:30-13:30 Uhr und von 16:00 -18:00 Uhr) in Sekundarschulen und Universitäten „nahezu komplett“ (CCOO-Zahlen), wobei 20 % der Lehrer von Sekundarschulen die vollen 24 Stunden streikten (USTEC-STEs-Zahlen). In der Region Valencia sprachen sämtliche Bildungsgewerkschaften von einer Beteiligung von 50 Prozent. In Andalusien traten 90 % der Universitätsstudierenden in den Streik. Die Unterstützung unter madrilenischen Schülerinnen lag bei 90 Prozent, unter Studentinnen bei 65 % (CCOO-Zahlen).
- Gesundheit. Dem Gesundheitsverband der CCOO zufolge erreichte die Beteiligung am zweistündigen Streik in Katalonien und der Region Valencia 80 %, während er in Andalusien bei 55-70 % lag.
- Transport. Langstrecken- und Regionalzüge waren landesweit mittelmäßig betroffen (25 % Ausfälle zur Hauptstoßzeit, 50 % am Rest des Tages), am stärksten waren dies die Metro-, Tram-, und Busdienste, wo es am meisten weibliche Fahrerinnen gibt. In Barcelona, wo die CGT stark vertreten ist, waren diese Dienste während der Hauptstoßzeiten um 50 % und zu 75 % am Rest des Tages reduziert.
- Medien. In diesem Sektor war der Streik besonders sichtbar. Weibliche Radio- und Fernsehansagerinnen waren bei vielen Sendern abwesend und das Programm wurde angepasst. Journalistinnen waren zudem in der Vorbereitung des Streiks involviert, und ihr Unterstützungsmanifest erhielt über 7000 Unterschriften von Kolleginnen.