Neue Befreiungskräfte debattieren die Zukunft eines post-Apartheid-Südafrika

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Federico Fuentes

27. August 2014 – Einartysken – Etwa 30 Gäste aus der ganzen Welt und 120 Ordnungskräfte der Nationalen Gewerkschaft der Metallarbeiter Südafrikas (NUMSA) trafen vom 7. - 10. August in Johannisburg zusammen, um die Aussichten und Herausforderungen des Aufbaus einer neuen linken politischen Alternative zur Herrschft des African National Congress (ANC), die Partei des verstorbenen Nationalhelden Nelson Mandela zu diskutieren.

Dieser Aufruf der größten Gewerkschaft des Landes mit über 400 000 Mitgliedern hat Widerhall in der gesamten Arbeiterklasse gefunden und manche in den Medien zur Aussage veranlasst, diesen Prozess als Möglichkeit zu sehen, "die Geburt einer Arbeiterpartei hervorzurufen, die am Ende [die ANC] herausfordern könnte".

NUMSAs Herausforderung des etablierten status quo hat auch die vielen Gefahren beleuchtet, die ihr bevorstehen, was drastisch durch den Mord an drei Ordnungskräften am Vorabend des Symposiums illustriert wurde.

Post-Apartheid Südafrika

Dass der Aufruf der NUMSA so viel Aufmerksamkeit erhalten hat, kann durch die Realität der südafrikanischen Gesellschaft zwanzig Jahre nach dem Fall der Apartheid erklärt werden.

Als der ANC 1994 bei den ersten Wahlen, in denen erstmals alle Bürger eine Stimme hatten, an die Macht kam, wobei der ANC als die Partei antrat, die erfolgreich Südafrikas "demokratische Revolution" gegen die Apartheid geführt hat.

Viele glaubten, dass die ANC-Regierung fähig sein würde, die Ziele durchzusetzen, die 1955 vom Kongress der Völker unter Teilnahme tausender Delegierter in der Freiheits-Charta niedergelegt worden waren. Die Mission war in der Charta klar und deutlich in der ersten Forderung ausgesprochen worden: "Das Volk soll regieren!"

Seither diente die Charta dazu, die Teile der Drei-Parteien-Allianz zu vereinen: den ANC, die südafrikanische Kommunistische Partei und den Kongress der südafrikanischen Gewerkschaften (COSATU). Doch nach 20 Jahren ANC-Herrschaft ist Südafrika immer noch weit entfernt von der Vision, wie sie in der Freiheits-Charta niedergelegt worden war.

Statt die "demokratische Revolution" zu vollenden, hat sie den Vorsitz geführt über die dualen Übergangsprozesse, von denen sie keinen erfolgreich abschließen konnte.

Einerseits gab es den Übergang zu einer post-Apartheid politischen Demokratie. Zwar wurden wichtige Schritte getan bei der Zerstörung des alten Systems der Rassentrennung, doch bemerkte NUMSA-Generalsekretär Irvin Jim, dass noch viel zu tun übrigbleibt.

Jim listete in seinem Einführungsvortrag eine ganze Litanei von Fakten auf, in denen Südafrika sich direkt von der ursprünglichen Vision der Freiheits-Charta entfernt hat.

Zum Beispiel, sagte er, dass weit davon entfernt, den Reichtum des Landes zu teilen, der ANC über ein Südafrika herrsche, das ungleicher ist als es 1994 war. Genauso ist die Lebenserwartung von 62 Jahren 1992 auf 52 im Jahr 2004 gesunken, um bis 2012 wieder auf 58 Jahre zu steigen, wobei die Kluft zwischen Schwarzen und Weißen immer noch bei unerhörten 23 Jahren liegt (48 Jahre verglichen mit 71 Jahren).

Was die Arbeiterrechte angeht, bemerkte Jim, dass zwar die Apartheid-Gesetze abgeschafft wurden, aber laut Studien "für Afrikaner es um 90% schwieriger ist als für Weiße, einen Job zu bekommen".

Jim verwies auch auf die Zahlen, die zeigen, dass weiße Angestellte immer noch im Durchschnitt viermal so viel verdienen wie schwarze Angestellte. Das Versagen, diese Ziele der "demokratischen Revolution" zu erreichen, kann großenteils durch die Tatsache erklärt werden, dass der Machtantritt des ANC mit dem Höhepunkt der globalen Vorherrschaft des Neoliberalismus zusammenfiel.

Statt den Neoliberalismus herauszufordern, zogen die neuen Herrscher es vor, den vom big business und den Institutionen wie dem IWF aufgezwungenen Bedingungen zuzustimmen.

"Das ausgehandelte Abkommen", erklärte Jim,"war ein neoliberaler kapitalistischer Übergang, der großenteils hinter verschlossenen Türen ausgehandelt wurde."
Während die Freiheits-Charta die Nationalisierung der Bergwerke und Banken vorgeschlagen hatte, hat der ANC stattdessen den Graben der Abhängigkeit von Erzexporten noch vertieft und den Aufstieg eines mächtigen Finanz-Sektors erleichtert.

Gleichzeitig hat der produktive Sektor einen steilen Abstieg durch eine bewusste de-Industrialisierung erfahren. Das Ergebnis, erklärte Jim, war, dass mehr als 620 000 Jobs in der Produktion zwischen 1995-2008 verloren gingen und 2009 allein eine Million Jobs in der ganzen Ökonomie.

Doch dem ANC misslang es auch, diesen Übergang zu vollenden, weil er nicht in der Lage war, der Arbeiterklasse solche Niederlagen beizubringen, wie sie die Durchsetzung des Neoliberalismus global begleitet haben.

Stattdessen ist das Streikniveau in den neunziger Jahren konstant geblieben und ist erst ab 2005 dramatisch angestiegen und hat ein Niveau erreicht, das alle anderen in der Welt übersteigt.

Mehr noch, der Anstieg der Arbeiter-Militanz war begleitet von einem Anstieg kommunaler Proteste, vor allem wegen fehlender grundlegender Dienstleistungen und Arbeitslosigkeit.

Als Ergebnis hat Südafrika heute die höchste Protestrate der Welt, weswegen es von manchen als die "Protest-Hauptstadt der Welt" (im Englischen mit dem Nebensinn Protest-Kapital) getauft wurde.

Marikana

Die Spannung zwischen einerseits den zunehenden Beziehungen von den ökonomischen Eliten des Bergwerk- und Finanz-Sektors und den neuen staatlichen ANC-Managern und andererseits der zunehmenden Unzufriedenheit von unten, explodierte in den tragischen Ereignissen von Marikana.

Am 16. August 2012 haben die staatlichen Sicherheitskräfte 34 Arbeiter eines Platin-Bergwerkes von Lonmin erschossen beim Versuch, einen monatelangen Streik zu beenden. Die nachfolgende Untersuchung der Ereignisse enthüllte ein hohes Niveau an geheimem Einverständnis zwischen den Unternehmensbossen und den Staatsbeamten bei der Durchführung des Massakers. Für viele zeigte Marikana in scharfen Konturen alles, was im post-Apartheid Südafrika falsch ist.

Trotz des ungeheuren Reichtums, der im Platingürtel des Landes gewonnen wird, wo 80 % dieses wertvollen Metalls der Welt geschürft werden, leben die Arbeiter nach wie vor unter tödlichen Bedingungen und mit minimalen Löhnen. Als die Arbeiter beschlossen zurückzuschlagen, bekamen sie es nicht nur mit dem Unternehmen zu tun, sondern auch mit seinen Unterstütztern in der ANC-Regierung.

Dazu gehörten Figuren wie etwa Cyril Ramaphosa, ein ehemaliger Bergarbeiter-Gewerkschaftsführer, der zum stellvertretenden Präsidenten des Landes aufstieg und zur Zeit des Massakers im Vorstand von Lonmin saß.

Trotz der tragischen Ereignisse vom 16. August fuhren die Arbeiter mit ihrem Streik einen weiteren Monat fort und erreichten am Ende einen erheblichen Erhöhung ihres Lohnes.

Darüberhinaus bewirkten die Ereignisse von Marikana eine neue Welle von Streikts in den verschiedensten Sektoren.

Im darauffolgenden Jahr registrierte Südafrika das höchste Niveau von Streiks bisher (wovon mehr als die Hälfte wilde Streiks waren). 2014 gab es bereits einen 5-Monate dauernden Streik mit 70 000 Arbeitern im Platin-Gürtel und einen einmonatigen Streik mit 220 000 NUMSA-Mitgliedern.

All dies hat zu dem wachsenden Gefühl unter Aktivisten geführt, dass die Bedingungen für den Aufbau einer linken Arbeiterklassen-Alternative zum ANC existieren.

NUMSAs Antwort

Deshalb hat NUMSA 2013 eine nationale Sonderkonferenz einberufen, um zu besprechen, wie man am besten darauf reagiert.

Die Delegierten des Kongresses beschlossen, dass NUMSA eine "Einheitsfront" errichten sollte, von der die Kämpfe an den Arbeitsplätzen und in den Kommunen koordiniert werden könnte und gleichzeitig der Kampf für die Umsetzung der Freiheits-Charta aufgenommen wird. Man entschied auch, die COSATU aufzufordern, aus der Dreiparteien-Allianz auszubrechen.

Ein weiterer Beschluss war, dass NUMSA die Schaffung einer politischen Organisation untersucht, "die in ihrer Politik und Handlung der Errichtung eines sozialistischen Südafrika" verpflichtet ist.

Dazu gehörte ein Vorschlag, die verschiedenen Arten von bestehenden politischen Parteien zu studieren - "von den Parteien mit Arbeitermassen bis hin zu Avantgarde-Parteien" - mit besonderer Rücksicht auf die neuen Erfahrungen in Ländern wie "Brasilien, Venezuela, Bolivien und Griechenland".

Das internationale Symposium brachte 28 Parteiaktivisten, Gewerkschaftler und Aktivisten aus sozialen Bewegungen aus 17 Ländern zusammen. Unter den Anwesenden befanden sich Vertreter der 'Bewegung zum Sozialismus' (Bolivien), 'Country Allianz' (Ecuador), Bewegung der Landarbeiter ohne Land (Brasilien), die Syriza (Griechenland), Die Linke (Deutschland), Koreanische Metallarbeiterunion, Labour Party (Nigeria), 'Breite Front' (Uruguay), Partei der arbeitenden Massen (Philippinen) und die 'Ägyptische sozialistische Partei'.

Die Diskussion ging um eine Vielzahl von Fragen: welche Haltung sollte eine neue Partei gegenüber Wahlen und der Regierung einnehmen (insbesondere im Licht der Laufbahn von ANC und SACP), wie muss die "Anhebung des Bewusstseins" angegangen werden und welche Klassen und sozialen Kräfte sollte die Partei in ihre Reihen aufnehmen.

Eine weitere Frage war, welche Rolle Gewerkschaften in der Politik spielen. Der allgemeine Konsens, besonders unter den NUMSA-Führer, war, dass die NUMSA immer eine Gewerkschaft bleiben sollte, die als 'Schild und Speer' in den Händen der Arbeiter wirkt. Das stand jedoch der Rolle eines "Auslösers" für eine neue Partei nicht im Wege.

Was offenbar wurde an allen drei Tagen war der Enthusiasmus und Ernsthaftigkeit, mit der die NUMSA-Führer und die Mitglieder gleichermaßen an der Diskussion beteiligt waren.

Herausforderungen

Ebenso offenbar waren die ernsten Herausforderungen und Hindernisse, die sie erwarten.

Der Mord an drei NUMSA-Ordnungskräften am Tag vor dem Symposium ist ein Beispiel. Obwohl die exakten Umstände hinter dem Mord noch nicht voll geklärt sind, hatten die NUMSA-Führer und Mitglieder keinen Zweifel, dass er Teil einer konzertierten Kampagne gegen die regimekritische Gewerkschaft war.

Sie glauben auch, dass es mit dem Versuch verknüpft war von bestimmtenten Kräften, vor allem von der SACP, eine neue pro-ANC-Gewerkschaft zu gründen mit der Absicht, der NUMSA Mitglieder abzujagen.

Eine weitere Herausforderung wird der Zwist sein, der innerhalb der COSATU auftauchte, der sich besonders um NUMSAs Drängen auf einen Sonderkongress drehte, um die Allianz mit dem ANC zu diskutieren. Das führte zum Gedanken, die NUMSA aus der COSATU auszuschliessen.

NUMSA sieht sich nicht nur den Problemen gegenüber mit den Kräften, die gegen ihre Initiativen sind, sondern auch mit denen, wer potentielle Alliierte sein könnten.

NUMSA-Sonderkongress.
Von unmittelbarer Bedeutung ist die Frage von NUMSAs Beziehung zu COSATUs Rivalen, dem Nationalen Gewerkschafts-Rat und dessen größten Mitglied, dem Verband der Berg- und Bauarbeiter Union, die eine Schlüsselrolle im Marikana-Streik spielte und auch den folgenden Streiks im Platin-Gürtel.

In jenem Prozess ist die AMCU zur größen Gewerkschaft im Platin-Bergwerkssektor geworden und wird von vielen als ein mächtiges Symbol des Widerstands gegen die ANC-Regierung gesehen. Alle Versuche zur Einheit werden mit Sicherheit die Spannungen mit der COSATU erhöhen.

Dann gibt es die Frage der 'Economic Freedom Fighters' (EFF), eine neue politische Kraft, die von früheren Jugendführern des ANC gebildet wurde und die aus der Partei ausgeschlossen wurde. Obwohl sie zum Symposium eingeladen wurde, hat die EFF die Teilnahme abgelehnt.

Obwohl sie nur ein Jahr vor den Wahlen 2014 gebildet wurde, ist die EFF zur drittgrößten politischen Kraft im Land geworden (mit 6.4 % der Stimmen) mit einem Programm, das auf der Nationalisierung der Bergwerke und Banken und gegen die Korruption in der ANC basierte.

Die stärkste Unterstützung für die EFF kam von enttäuschten Jugendlichen und Arbeitern, besonders im Platin-Gürtel, wo der Pareiführer Julius Malema eine intensive Kampagne führte während des Marikana-Streiks und vor den Wahlen fuhrte.

Doch die größte Herausforderung liegt darin, wie die Partei die ständig größer werdende Zahl der Graswurzel-Aktivisten an Arbeitsplätzen und in den Kommunen und auch breitere Sektoren der Gesellschaft beteiligen kann, die vom ANC genug haben, aber noch eine politische Heimat suchen.

Zweifellos spielt der ANC immer noch eine große Rolle in der südafrikanischen Politik, zu nicht geringem Teil wegen seinem historischen Erbe als Partei, die die Apartheid besiegt hat.

Doch ein ständig größer werdende Anzahl stellt in Frage, ob die Partei ein nützliches Werkzeug für Veränderung sein kann.

Obwohl die Partei die Wahlen mit 62 % gewonnen hat, sind manche in der herrschenden Partei zutiefst besorgt durch die Tatsache, dass die Unterstützung in der stimmberechtigten Bevölkerung (einschließlich jener, die sich enthielten oder gar nicht registrierten) ständig bei jeder Wahl sinkt, von 54 % 1994 auf 35 % bei der letzten Wahl.

Die NUMSA steht also vor dem Problem, sich mit dem Graswurzel-Aktivisten und kommunalen Führern zusammenzuschließen, um in breiteren sozialen unzufriedenen Schichten Fuß zu fassen. Und zwar im Kontext einer ungleichen Beziehung zwischen einer großen, organisierten Gewerkschaft und kleinen, grundverschiedenen örtlichen kommunalen Gruppen.

Darüberhinaus muss jede neue Partei mit der Existenz von unterschiedlichen linken Tendenzen zurechtkommen, von denen jede ihre eigene besondere Ideologie hat, die häufig unterschiedliche Erfahrungen und Praktiken widerspiegelt.

Heute steht die NUMSA im Zentrum eines entstehenden Prozesses linker neuer Zusammensetzungen. NUMSAs Fähigkeit, in diesem schwierigen Terrain zu navigieren, wird eine wichtige Rolle spielen bei der Entscheidung, ob die neuen Befreiunskräfte in Südafrika in der Lage sein werden, die existierende soziale Unzufriedenheit in eine politische Kraft für dauerhafte Veränderung umzuwandeln.

[Federico Fuentes ist Mitglied der Sozialistischen Allianz Australiens und Mitglied des Büros der Green Left Weekly in Caracas.]